Ein Ausflug in die Erdsystemforschung beginnt in der Welt der Winzlinge

von RADO-Team (Kommentare: 0)

Gruselige Dinge spielen sich in dieser Mikro-Welt ab. Ulrich Bathmann zeigte uns die „Beisserchen“ eines Ruderfußkrebses. Sieht ganz schön gefährlich aus, auch wenn es sich hier um Strukturen handelt, die nicht größer als 0,0025 mm sind – kaum vorstellbar. Aber es kam noch besser: Unter dem Mikroskop sind die Bissspuren dieser Minimonster in den Quarz-Schalen einer Kieselalge zu erkennen, womit dann auch geklärt wäre, wovon sich so ein Ruderfußkrebs ernährt. Kieselalgen sind seine Lieblingsnahrung und seine Mundwerkzeuge haben sich im Laufe der Evolution auf das Knacken der Kieselpanzer spezialisiert.

Nachdem sich das erste ungläubige Staunen gelegt hat, zwingt sich mir die Frage auf, was das mit Erdsystemforschung zu tun hat und warum ich das wissen muss. Das hat Ulrich Bathmann offensichtlich geahnt, denn er präsentiert uns die sagenhaften Leistungen, die am Fuß der Nahrungspyramide im Meer bereitgestellt werden: Ohne die Kieselalgen und die übrigen Kollegen des Phytoplanktons kann es kein Leben im Meer geben. „Primärproduktion“ ist das Schlagwort, hinter dem sich eine marine Variante der Photosynthese versteckt. Aus Sonnenenergie und Grundelementen wie Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor bauen Bakterien und Mikroalgen Proteine, Fette - insgesamt eine große Bandbreite organischer Substanz auf, um sich zu vermehren. Von diesem Depot leben im Prinzip alle anderen. Ich nehme mir insgeheim vor, beim nächsten Fischessen mit Dankbarkeit an die Kieselalgen und Ruderfußkrebse zu denken, an die einen, weil sie das „Wunder“ vollbringen, aus Energie und Chemie Leben zu schaffen, an die anderen, weil sie den Schutzpanzer der Winzlinge knacken können und damit den Weg bereiten für die weitere Nutzung.

Die Leistungen der Nahrungspyramide

Apropos Chemie – Ulrich Bathmann wirft eine magische Formel an die Wand: das so genannte Redfield-Verhältnis. Es beschreibt, aus wieviel Teilen Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor das Phytoplankton besteht. Während ich noch darüber sinniere, wie wenig Phosphor eigentlich benötigt wird und wieviel über Düngemittel davon im Meer landet, lenkt Ulrich Bathmann die Aufmerksamkeit auf den beachtlichen Kugelhaufen an Kohlenstoff.

Aha – die berühmte „biologische Kohlenstoff-Pumpe“, noch eine von den fundamentalen Leistungen des Phytoplanktons. Sterben die Organismen ab, so sinken sie auf den Meeresboden und mit ihnen jede Menge CO2. Von dort aus kann es erst einmal nicht so schnell in die Atmosphäre gelangen und als Treibhausgas unser Klima beeinflussen. Ich merke, dass meine Sympathie für Kieselalgen und Co. stetig wächst.

Und was ist mit dem Stickstoff? Seitdem wir mit dem Haber-Bosch-Verfahren eine Methode erfunden haben, reaktionsträgen Luft-Stickstoff in Ammonium umzuwandeln, gibt es davon eigentlich immer mehr als genug im Meer. Überdüngung ist weltweit in den Küstenmeeren auf dem Vormarsch. Moment mal! Wie war das nochmal mit dem Haber-Bosch-Verfahren? Wer hat's erfunden? Richtig, Jahrmilliarden vor den Herren Haber und Bosch waren es wieder Vertreter des Phytoplanktons, die als erste einen Weg fanden, den Luftstickstoff zu nutzen – die Cyanobakterien, auch als Blaualgen bekannt. Ich denke an ziemlich eklige braungelbe Blaualgen-Teppiche, die ausgerechnet, wenn das Wasser der Ostsee endlich die 18 ° Marke überschreitet, das Baden vermiesen. Meine Begeisterung für diese Leistung hält sich in Grenzen.

Aber Ulrich Bathmann relativiert das ganz schnell, in dem er uns den Stickstoff-Kreislauf insgesamt vorstellt. In dem komplizierten Räderwerk gibt es auch einen Prozess, der reaktiven Stickstoff wieder in reaktionsträges N2 umwandelt – die Denitrifizierung. Und man ahnt es schon: Sie basiert auf der Leistung von Bakterien.

Im Vergleich zu Schweinswal und Seehund ist der „Knuddelfaktor“ zwar sehr klein. Aber ich verstehe, dass unser System Erde ohne Bakterien und Phytoplankton nicht funktioniert.

Barbara Hentzsch

Zurück