Von der Roten Liste zu den Schutzgebieten
von RADO-Team (Kommentare: 0)
Muscheln, Schnecken und Würmer, die den Meeresboden der Ostsee bewohnen, müssen einiges verkraften – etwa schwankende Sauerstoff- und Salzgehalte. Die Vertreter des sogenannten Makrozoobenthos erfüllen auch für Menschen wichtige Funktionen im Ökosystem. Aber erfahren sie auch ausreichend Schutz?
Was gefährdet ist, soll auch geschützt werden, oder? Michael Zettler kann das nicht so ganz bestätigen: „Die Einrichtung von Schutzgebieten erfolgt nach europäischem Recht – der so genannten Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, kurz FFH. Und nur was in der Gesamtheit der europäischen Meere bedroht ist, gelangt auch auf die Liste derer, die nach der FFH-Richtlinie zu schützen sind.“ Zum Beispiel der Schweinswal. Aber die zahlreichen Vertreter des Makrozoobenthos, die auf der so genannten Roten Liste stehen, weil sie in der deutschen AWZ vom Aussterben bedroht sind, vermisst man dort.
Wie kann das angehen? „Muscheln, Schnecken und Würmer, die in der Ostsee den Meeresboden bewohnen, müssen einiges verkraften können: vor allem schwankende Sauerstoff- und Salzgehalte. Deshalb finden wir hier robuste Arten, die eine große Verbreitung in fast allen europäischen Meeren haben. Die meisten der auf der Roten Liste stehenden Vertreter sind in anderen Meeren Europas nicht bedroht. Deshalb haben sie nach europäischem Recht keinen Schutzstatus in der Ostsee.“
Ich stelle mir gerade vor, was passiert, wenn unsere Rote-Liste-Vertreter dann irgendwann wirklich bei uns verschwunden sind. Muss man das dann unter „Selber Schuld, was sucht sich die Muschel auch so ein schwieriges Gebiet aus, wo sie doch überall leben kann“ verbuchen? Und bedeutet das, dass wir es hinnehmen müssen, dass die Ostsee immer artenärmer wird, nur weil die Arten, die hier leben auch in anderen Meeren vorkommen? Mir erschließt sich diese Logik nicht.
Nur gut, dass Michael Zettler viel Zeit mitgebracht hat. „Es gibt eine von der Helsinki-Kommission erstellte Rote Liste, die von allen Ostseeanrainerstaaten anerkannt ist und an der im Prinzip kein Bauvorhaben vorbeikommt, auch wenn diese Liste, wie die deutsche, keinen bindenden Charakter hat.“ Mya truncata und Macoma calcarea (zu deutsch: Abgestutzte Klaffmuschel und Kalk-Plattmuschel) sind zum Beispiel auf dieser Liste. So richtig überzeugend klingt das noch nicht.
Aber dann kommt die Wendung: „Der große Vorteil der Habitat-Direktive besteht darin, dass sie ganze Habitate unter Schutz stellt und damit natürlich auch die Arten, die diese Habitate besiedeln.“ Klar! Wie will ich eine Art schützen, wenn ich ihren Lebensraum nicht erhalten kann? „In der deutschen AWZ sind es Sandbänke und Riffe, die diesen Schutzstatus genießen.“ Ein Kartenüberblick zeigt uns, wo sich diese Schutzgebiete befinden. Wie kleine Inseln liegen sie da und werden von Nutzungsansprüchen wie Fischerei, Energienutzung und Schifffahrt umbrandet. Ein bisschen wie die Arche Noah.
Barbara Hentzsch