Nimm mich mit, Journalist, auf die Reise: Wie persönlich ist der Wissenschaftsjournalismus?
von Isabell Prophet (Kommentare: 0)
Sperren Sie einmal 20 Journalisten in einen Raum und warten Sie ab. Irgendwann bricht die Debatte immer aus: Darf man eigentlich seine Meinung in einen Text schreiben, in einem Stück zum Ausdruck bringen? Und soll ich selbst eigentlich darin vorkommen? Diese Fragen haben wir uns auch im ersten RADO-Workshop gestellt.
Die reine Lehre sagt natürlich: N-E-I-N! Wir sind Berichterstatter, wir sagen was ist. Und nicht, wie wir es finden. Wer kommentieren will, der muss einen Kommentar schreiben. Mischformen sind nur ein Ausdruck handwerklicher Unkenntnis.
Das ist natürlich oft genug wahr.
Doch Leser und Nutzer wissen nichts von journalistischen Textarten und es interessiert sie auch wenig. Die strikte Trennung passt auch nicht zum aktuellen Trend, Stücke persönlicher werden zu lassen. Die Leser mögen das: Es gibt mehr Ich-Perspektiven, mehr Kontroverse, mehr Gefühl. Vor allem gibt es große Expertise unter Journalisten – was einen persönlichen Blickwinkel durchaus rechtfertigt.
Gehen wir einen Schritt zurück: Angefangen haben die Blogger. Ohne klassische Ausbildung haben sie einfach frei erzählt, was sie erlebt, recherchiert, gelernt haben. Das ist spannend und leicht zu lesen, so es denn gut geschrieben ist. Es ist sehr einfach, jemandem auf seinem Rechercheweg zu folgen. Man erlebt was, man fühlt mit. Im britischen und amerikanischen Journalismus sehen wir derzeit die sehr professionelle Umsetzung dieser Idee. In Deutschland sind wir skeptisch. Wir wählen lieber die Perspektive der Protagonisten.
Doch ohne literarische Freiheit muss diese Perspektive immer unvollständig bleiben: Die Ärztin WILL Krebs heilen, über alle wirtschaftlichen Grenzen hinweg? Vielleicht. Alles was wir sagen können: Die Ärztin SAGT, sie wolle den Krebs heilen. Die Innensicht bleibt uns verwehrt; wer ihr Glauben schenkt, der wertet schon und hat sich – ganz unbewusst – schon in eine persönliche Perspektive hineinbegeben. Problematisch ist das, weil es nicht kenntlich gemacht wird. Wir sagen es dem Leser nicht. Wir machen es einfach.
Das sollten wir ändern. Dazu gehört das Eingeständnis, dass wir eine Perspektive haben. Die beginnt schon bei der Themenauswahl: Die Studie der Onkologin ist wert, dass ich über sie berichte. Wertung! Es geht weiter mit der Umsetzung: Ich frage diesen Kollegen um seine Meinung, aber nicht den anderen – Wertung!
Das persönliche Stück ist ehrlicher, glaubwürdiger. Martha Nichols, Chefredakteurin von Talking Writing hat einmal geschrieben: „Writers no longer hide their biases behind the god-like reporting voice.“ Klare Worte. Genau deshalb ist es auch für den Leser viel einfacher, die Arbeit des Journalisten einzuordnen, wenn der seine Perspektive klar macht. Also: Ich hörte von dieser Ärztin. Sie erzählte mir, sie arbeite umsonst, weil ihre Studie so teuer sei, dass sie ihr Budget sprenge. Ich wollte wissen, wie das sein kann.
Wir können die Leser mitnehmen auf unsere Recherchereise. Das gibt uns die einmalige Chance, etwas zu erzählen, über das wir wirklich Bescheid wissen. Wieviel Ich so ein Text tatsächlich braucht, ist unterschiedlich. Betrifft es mich so gar nicht: Dann sollte ich mich zurückhalten. Ist meine Schwester von dieser Krebsart betroffen: viel Ich, viel Gefühl. Gleichzeitig müssen wir der Gefahr begegnen, eigene Erfahrung als Beweis für eine These zu benutzen. Eigene Erfahrung hat eine Stichprobengröße von 1. Und die ist statistisch nun einmal nur dann signifikant, wenn ich selbst auch die Grundgesamtheit bin.
Es geht bei diesen aufgeschriebenen Recherchereisen darum, ehrlich zu zeigen, wie so ein Stück entsteht. Es geht nicht darum, meine Gedanken und Gefühle im Labor wiederzugeben. Das kann man machen – doch es muss nicht sein. Viel öfter sollten wir unsere Protagonisten fragen, was sie fühlen.
Und dann machen wir alles so, wie wir es immer gemacht haben: Wir recherchieren, ordnen ein, wir zweifeln, sortieren, erklären. Das ist kein neuer Journalismus. Das ist nur eine neue Erzählform.
Das Ziel dieser neuen journalistischen Darstellung ist es, ehrlich zu sein. Wir können klar signalisieren: Hier hat eine Person recherchiert. Es kann nicht die umfassende Wahrheit sein, es ist eine Perspektive.
Das war vorher aber auch nicht anders.