Von Mensch zu Fisch:
Entdeckungen rund um den Hering an Bord des Forschungsschiffes „Clupea“

von Nadine Kraft (Kommentare: 0)

Der Hering ist ein echtes Sensibelchen: Berührt man seine Schuppen, fallen sie aus, Pilze und Bakterien besiedeln ihn, der Fisch wird krank. Drei Tage später ist der Hering tot. Doch gleichzeitig hat der Fisch, den viele nur als Endprodukt in Tomatensauce kennen, echte Nehmerqualitäten. Sonst hätte er es wohl nicht geschafft, so lange zu überleben. Heringsforscher gehen davon aus, dass der bekannteste Ostseefisch schon länger existiert, als es eine Ostsee gibt. Und die hat ihre heutige Form immerhin schon vor mehr als 6.000 Jahren angenommen. 

Hering und Mensch sind seit jeher auf das Engste miteinander verbunden. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir alles über diesen Fisch wissen. Der Hering lebt in Schwärmen in Nord- und Ostsee, das ist bekannt. Er ernährt die Fischer dort und hat die Kaufleute der mittelalterlichen Hanse reich gemacht. Für diese waren Stockfisch und Salzhering eine Art Lizenz zum Gelddrucken, denn die natürlichen Fischkonserven waren jahrhundertelang das Hauptnahrungsmittel während der österlichen Fastenzeit.

Nach sechs Stunden an Deck des Fischereiforschungsschiffes „Clupea“ und einer Ausfahrt zu einigen der 36 Probestationen im Greifswalder Bodden im Rahmen des RADO-Workshops wissen wir nun auch das: Wenn der „Westliche frühjahrslaichende Ostseehering“, der im Øresund überwintert, eine bestimmte Temperaturinformation aufnimmt, schwimmt er los, um sich fortzupflanzen. Laich und Samenflüssigkeit werden im Greifswalder Bodden verteilt und weil der Laich so schön klebt, haftet er an Seegras und Algen, bis die Larven schlüpfen. Einige Tage schaffen sie es ohne Nahrung. Dann jedoch sollte das Phytoplankton blühen, damit sich die Minifische davon ernähren können. Der Haken: das Phytoplankton reagiert auf Licht, nicht auf Wärme. Sind die Winter zu warm, hat der Heringsnachwuchs ein Problem. Er findet nicht rechtzeitig genug Futter, weil seine Eltern aufgrund der steigenden Temperatur schlichtweg zu früh in den Bodden geschwommen sind. Die Folge liegt auf der Hand: Die kleinen Fische sterben, im nächsten Jahr gibt’s weniger Hering in der Ostsee. Auch ein zweiter, der allgemeinen Erwärmung geschuldeter Umstand scheint für erschwerte Startbedingungen des Heringsnachwuchses zu sorgen: braune Algenteppiche, die sich neuerdings im Frühjahr im Boddenwasser ausbreiten. Bleibt der Heringslaich daran haften, scheint er zu sterben.

Obwohl es neben den Fakten viele Unsicherheiten gibt, wissen die Forscher auch das: „Der Hering akzeptiert wechselnde Umweltbedingungen. Allerdings wissen wir nicht, wie lange er braucht, um sich darauf einzustellen“, sagt Dr. Patrick Polte vom Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock. Der Wissenschaftler leitet das Rügen-Heringslarvensurvey, ein seit den 1970er Jahren laufendes Projekt, in dem die Reproduktion des Herings erforscht wird. Die unter anderem im Greifswalder Bodden mithilfe der „Clupea“ gesammelten Daten fließen in das EU-Data Collection Framework und in letzter Konsequenz in das Fischforschungsprogramm des International Council for the Exploration of the Sea (ICES) ein. Auf Grundlage dieser Daten, die Patrick Polte und seine Kollegen erheben, werden etwa die jährlichen Fangquoten für die kommerzielle Fischerei und seit diesem Jahr auch für die auf Dorsch gehenden Freizeitfischer festgelegt.

Deshalb gehört das Rostocker Thünen-Institut im weitesten Sinn zum Bundeslandwirtschaftsministerium. „Wir liefern die Grundlagen für eine nachhaltige Bewirtschaftung der Ostsee“, betont dessen Leiter Dr. Christopher Zimmermann. Bei den Fischern ist das Institut deshalb nur mäßig beliebt. Und auch die Politiker hören nur mit halbem Ohr hin. Dabei heißt Nachhaltigkeit im Sinne des Thünen-Instituts nicht, alle Fische komplett unter Schutz zu stellen. „Wir wollen den Fisch für die menschliche Ernährung nutzen. Aber nur in einem gesunden Fischbestand kann man auch die maximale Ernte einfahren“, erläutert Zimmermann. Heringe zum Beispiel wachsen und reproduzieren sich ein Leben lang. Und: Je älter und größer sie sind, desto mehr Nachwuchs bringen sie in die Welt – wohlgemerkt mit einem Mal ablaichen. Die Larven sind zudem überlebensfähiger. „Es ist also sinnvoller, mehr dreijährige Heringe zu fischen und dafür die großen alten überleben zu lassen“, so Zimmermann.

Der Hering, soviel ist nach dem Tag an Bord der „Clupea“ ziemlich klar, hat es nicht leicht, aber er ist nicht vom Aussterben bedroht. Überhaupt geht es dem Ostseefischbestand gut, im Vergleich mit den anderen europäischen Meeren sogar laut Christopher Zimmermann „exzellent“. Auch, weil der Fischereidruck seit Mitte der 1990er Jahre erheblich gesenkt wurde. Bis 2020 sei es möglich, alle Fischbestände in einen guten Zustand zu bringen. Zimmermann nennt zwei Ausnahmen: um die beiden Dorschbestände müsse man sich ernsthaft Sorgen machen und der Europäische Aal sollte überhaupt nicht mehr gefischt werden, er ist akut vom Aussterben bedroht. Aber das ist eine andere Geschichte.

Copy-Right für Text und Fotos: Nadine Kraft 

Zurück